Samstag, 28. Januar 2012

Jenseits des Ozeans

Jenseits des Ozeans 

Die Kinder eilten frühmorgens zwar weiterhin zur Schule, hatten wie schon immer ihre Pausenbrote vergessen, so ihre Mütter dazu überhaupt Zeit gefunden hatten, welche zuzubereiten. Der Berufsverkehr pulsierte. Zeitungen wurden vertragen, alles wie jeden Morgen…
Doch sonst war nach dieser langen, vor den Fernsehern durchwachten Nacht nichts mehr wie sonst.
Gewiss, das Unglaubliche, was doch niemand auch nur hatte ahnen können war ja weit weg geschehen. Tausende Tode. Weit weg. Jenseits des grossen Ozeans. Aber waren ja auch vollkommen andere Umstände in diesem fernen, oft missgünstig  beobachteten Land. Nicht zu vergleichen!
Dort aber griff Panik um sich, Schuldige wurden gesucht, Drahtzieher in den eigenen Reihen vermutet. Die Politik tadelte eine Regierung, welche alle Vorzeichen fahrlässig in den Wind geschlagen hatte. Diese reagierte ihrerseits mit drakonischen Massnahmen. Auf der Stelle massregelte die Presse deren Unzulänglichkeit , die Politik zog nach, die Schlaufe zog sich zu in diesem eben noch so freiheitsliebenden, modernen Land. Ausnahmezustand, Schikanen errichtet sogar für die eigenen Bürger. Alles bloss vorübergehend. Dieses Land, bestauntes, bewundertes und vorbehaltlos nachgeahmtes Vorbild für Generationen, hatte über Nacht seine eigene Unschuld verloren. Die Regierung misstraute von nun an ihren Bürgern; unterschwellig schon immer vorhandene Vorbehalte gegen Fremdes und gegen Fremde wucherten in diesem traditionellen Einwandererland ins Uferlose. Eigenverantwortung wurde unversehens mit Füssen getreten, Misstrauen geschürt, die Presse zensuriert. Alles bloss vorübergehend. Doch die Schraube hatte zu drehen begonnen; die Entwicklung liess sich nicht  mehr aufhalten, griff nun auf die umgebenden Länder über und machte auch vor dem Ozean nicht Halt. Freiheitliches Denken und Vertrauen, Toleranz und Zuversicht waren ängstlicher Vorsorge gewichen, binnen Wochen weltweit. Menschen misstrauten ihren Nachbarn, Staaten andern Staaten. Daten- und Persönlichkeitsschutz mit Füssen getreten, schamlos, vorbehaltlos, gnadenlos, länderübergreifend. Der gläserne Mensch, der Staat allwissend und allmächtig, von Weitsichtigen seit jeher prophezeit, war Wirklichkeit geworden.  Big Brother... lässt grüssen.

*pcf 2011

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